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Paul Hindemith, Oskar Sala und Friedrich Trautwein in der Rundfunkversuchsstelle (Ausschnitt)

Anfänge

Frage: Herr Sala, Sie haben Entwicklungen genannt, die zeitlich vor dem Mixturtrautonium liegen, zum Beispiel das Rundfunktrautonium. Können Sie uns etwas über die Anfänge erzählen? Wie ist überhaupt die Verbindung mit Trautwein zustande gekommen? Wie kamen Sie dazu, am ersten Trautonium mitzubauen?

Oskar Sala: Ich kam nach dem Abitur im Sommersemester 1929 an der Berliner Hochschule für Musik in die Kompositionsklasse von Paul Hindemith. Ich hatte auch noch die Klavieraufnahmeprüfung bestanden, im Fall, daß mein Wunsch, zu Hindemith zu kommen, nicht geklappt hätte. Eines Tages forderte uns der Meister auf, mit ihm die Rundfunkversuchsstelle oben unterm Dach zu besuchen, weil dort oben seit kurzer Zeit der Dr. Ing. Friedrich Trautwein vorführbare Vorstudien für ein elektrisches Musikinstrument konstruiert hatte. Da sah ich zum ersten Mal das Spielmanual, die Metallschiene und darüber ein dünner Widerstandsdraht. Für den Doktor war das wohl mehr ein Witz, denn eigentlich wollte er eine schöne elektrische Orgel bauen, aber dafür war kein Geld da; immerhin Weltwirtschaftskrise war das damals.

Frage: 1930, was herrschte da in Berlin für eine Stimmung?

Oskar Sala: Na ja, für einen, der aus der Thüringischen Provinz kam, war natürlich die große Stadt imponierend, aber die steigenden Zahlen der Arbeitslosen und die erbitterten Kämpfe zwischen Nazis und Kommunisten führten zu Unruhe und Unlust. Zum Glück befand sich die Hochschule im Westen Berlins und nicht in den riesigen Gebieten der Arbeiter- und Industrieviertel. Die Hochschule war sozusagen eine Oase für alle, die das Glück hatten, musikalisch begabt zu sein und bei weltberühmten Lehrern studieren zu können.

Frage: Und wie war die Reaktion auf Trautweins Entwurf?

Oskar Sala: Überraschend. Hindemith bat ihn, uns doch mal ein Glissando zu zeigen. Das war nun für den Doktor leicht zu machen, auch wenn er kein Instrumentalist war: Mit dem Finger auf der Saite zu gleiten. Hindemith merkte unsere Verblüffung. "Seht mal, was auf keiner Tastatur möglich ist, hat der Doktor schon mit diesem kleinen Probeaufbau erreicht. Ein elektronisches Instrument mit einem Saitenmanual und sicherlich noch vielen anderen Eigenschaften steht uns bevor. Ich habe ihn aufgefordert, diese Idee nicht wieder aufzugeben, sondern zum spielbaren Instrument zu entwickeln. Wenn er drei Instrumente dieser Art konstruieren kann, bin ich mit dabei, sowohl als Komponist wie als Spieler. Wir haben die bisherigen Musiktage von Baden-Baden im Juni dieses Jahres nach Berlin in die Rundfunkversuchsstelle verlegt."

Frage: Sie haben doch auch mitgewirkt. Wie kam es dazu?

Oskar Sala: Ja, später habe ich mich schon gefragt, was war bei dir los, damals? Während meine Kommilitonen wieder brav in den Unterricht gingen, war ich am nächsten Tag wieder oben und am übernächsten, und dann traute ich mich, Trautwein zu fragen, ob ich nicht etwas helfen könnte. Der war sofort einverstanden. Sie sehen ja, ich komme erst am Nachmittag vom Dienst. Er war als erfindungsreicher Kopf in der Industrie und hatte sich als Postrat in den Wartestand versetzen lassen. Heute bin ich überzeugt, daß ich damals instinktiv Abschied vom Klavier genommen habe. Ich hatte es während der Schulzeit eifrig betrieben, im Hause der Eltern mit einem schönen Bechsteinflügel und im Abiturjahr im Abonnementkonzert mit dem Städtischen Orchester Beethovens Es-Dur-Konzert und eine Woche später bei einer Gesellschaftsveranstaltung, wieder mit dem Orchester, Schumanns a-moll-Konzert gespielt, par coeur natürlich. Hindemith bemerkte mein Interesse und war erfreut darüber. Er sagte: "Jetzt ist einer von meinen Eleven doch dabei und will was tun. Ich entlasse ihn zur Hälfte aus dem Unterricht" - später wurde es dann noch etwas mehr - "und er soll sich möglichst gut einspielen. Wenn er will und auch Trautwein will, kann er vielleicht ein bißchen mitkonstruieren, ein bißchen mitlöten".

Frage: Wie lange hat es gedauert, die drei von Hindemith gewünschten Instrumente zu bauen?

Oskar Sala: Na ja, wir haben Anfang 1930 begonnen, kamen aber bald in einige Zeitbedrängnis, so daß Trautwein noch einen technischen Helfer engagierte, von dem ich noch viel gelernt habe. Denn Trautwein selbst war nicht der Mann für stundenlanges Montieren und Löten. Er gab uns Schaltungen und Konstruktionsanweisungen. Aber schließlich schafften wir es so rechtzeitig, daß die Triokompositionen Hindemiths - sieben Sätze, darunter ein längerer mit einer Kadenz für jeden der drei Spieler - von den Interpreten geübt werden konnten. Es blieb bei Hindemiths Zusage: Er spielte die Oberstimme, der Klavierprofessor Rudolph Schmidt die Baßstimme und mir war die Mittelstimme anvertraut. Am 18. Juni fand das erste "Elektrische Konzert" mit einem Vortrag von Trautwein, mit Beispielen an meinem Instrument und mit der Uraufführung der sieben Triostücke von Paul Hindemith im großen Konzertsaal der Hochschule statt.

Frage: Wie waren denn die Reaktionen? Das war doch ein völlig neues Instrument?

Oskar Sala: Allerdings, das hat wohl jeder gemerkt. Durch Hindemiths Teilnahme als Spieler eines elektronischen Instruments und als Komponist elektronischer Kammermusik wäre es nach heutigem Maßstab wohl als Weltpremiere bezeichnet worden. In seinen Triostücken kamen aber auch ungewöhnliche Effekte vor: Jedes Triostück ein wenig anders klanggefärbt, gleitende Klangfarbenwechsel, zum Beispiel dunkel-hell oder scharf-weich, und dann noch ein Fernwerk durch einige Lautsprecher über den Öffnungen des Kronleuchters in der Saalmitte, raffiniert gemischt zwischen den drei Stimmen. Höhepunkt war wohl das Trio Nr. 6. Ich habe über vierzig Jahre später, bei einer Schallplattenaufnahme der Stücke für die Hindemithreihe von Telefunken in meinem Studio, gemerkt, daß wir uns beachtliche spieltechnische Schwierigkeiten zugetraut haben. Die drei Kadenzen, für jeden Spieler eine, zeigen es explizit. Ich war inzwischen allerdings allein auf weiter Flur. Drei Instrumente gab es schon lange nicht mehr. Die Play-back-Tonbandaufnahme mußte helfen.

Frage: Apropos Hindemith - er ist 1940 ja amerikanischer Staatsbürger geworden. Haben ihn die Nazis hinausgeekelt, haben sie sein Werk als "entartet" beschimpft? Oder war er anerkannt, wurden seine Werke aufgeführt?

Oskar Sala: Nein, aufgeführt wurde nach der Mathis-Sinfonie nichts mehr, und frühere Werke galten schon vor 1933 bei den Nazis als entartet. Die Umstände wurden für ihn doch so unerträglich, daß er 1937/38 Deutschland endgültig verließ. Davor gab es aber noch einige wichtige Beiträge von ihm für das Trautonium. Der erste ging interessanterweise diesmal von Arnold Schönberg aus. Er besuchte uns 1930 im Labor, jedenfalls um zu sehen und zu hören, was sein Kollege da veranstaltet hatte. Ich führte ihm wie üblich alles vor, auch die Klangfarbenwechsel und die Vokale. Dann nahm er ein Notenblatt, obere Zeile ein Violinschlüssel, untere ein Baßschlüssel, schrieb oben eine Note mit fünf Strichen über der Zeile, also einen ziemlich hohen Ton, und mit ebenso viel Strichen unter der zweiten Zeile eine zweite Note, also einen sehr tiefen Ton. Dann fragte er mich: "Können Sie das spielen?" Ich mußte verneinen, versuchte aber zu erklären, daß wir solche Töne natürlich spielen können, denn wir hatten ja unsere drei Instrumente auf drei Tonbereiche, tief, mittel, hoch aufgeteilt. Antwort: "Das müssen Sie später aber nochmal können". Punkt. Freundlicher Abschied.

Frage: Wenn das keine Anregung war!

Oskar Sala: Mich wurmte das natürlich. Wieso habe ich das nicht auf meinem Instrument? Gleich gings los, drei Knöpfe und Regler für die Einstimmung eines tiefen Tonbereichs, und drei weitere für einen hohen Tonbereich; mit meinem mittleren Tonbereich kombiniert durch einen der bewährten Kellogschalter für seine drei Schaltstufen oben, Mitte, unten; kein Schaltproblem bei den vielen Schaltkontakten, die ein solcher Schalter haben kann.
Dann habe ich Hindemith meine Neuerung vorgeführt. Er: "Das ist ja ein schöner Fortschritt. Sie wissen, wir sind alle eingeladen von Oskar von Miller, dem berühmten Schöpfer des Deutschen Museums, während der Tagung der Rundfunkfachleute 1931 das Trautonium vorzuführen; ich schreibe eine Komposition für Trautonium und Streichorchester und werde in München meinen Schüler-Solisten selbst dirigieren." So entstand seine zweite Komposition "Konzertstück für Trautonium und Streichorchester", jetzt hatte das Trautonium großen Tonumfang. Es ging alles nach seinem Plan. Für die "Vossische Zeitung" in Berlin war es die Sensation, daß Hindemith öffentlich dirigierte. Am 30. November 1931 wurde das Werk in einem Konzert der Berliner Funkstunde in der Singakademie wiederholt, höchst ehrenvoll in einem Programm mit der europäischen Erstaufführung seiner Bostoner Sinfonie. Dirigent war Hans Rosbaud.

Hindemith kam im Sommer 1935 nochmal in die Hochschule kurz zurück. Da gab es den zweiten und leider letzten Beitrag von ihm für das Trautonium. Ich war gerade mit dem Rundfunktrautonium, das ich ja in unserem Labor noch konstruieren durfte, fertig geworden. Jede Stimme war mit zwei subharmonischen Mixturschaltungen ausgestattet, was ihn besonders interessierte. Wenige Tage danach kam er mit der ersten Komposition für Trautonium Solo zurück. In seinem Kompositionsverzeichnis heißt es: "1935 Anfang August. Langsames Stück und Rondo für Trautonium. Für Sala geschrieben. Interessante Aufgabe, da das Trautonium neuerdings vierstimmig behandelt werden kann, jedoch nur so, daß je zwei Stimmen gekoppelt werden mit den Tönen 2, 3, 4 oder 5 der Untertonreihe (Oktav, Duodezime, zweite Oktav und Terz unter dieser), wodurch zwar starke Beschränkungen fürs Setzen, aber durch das Durcheinanderlaufen beider Kopplungsreihen (die unabhängig und verschieden voneinander laufen können) seltsame Möglichkeiten sich ergeben."

Zu seinem Geburtstag am 16. November habe ich ihm vom Stück eine Art Kunststoffplatte aufgespielt, ohne zu ahnen, daß diese Platte das Stück über den Krieg gerettet hat. Sie wurde in seinem Nachlaß wieder entdeckt, während weder die Partitur bei ihm noch meine (Solo)Stimme bei mir wieder zum Vorschein gekommen sind. Alfred Rubeli, sein Nachlaßverwalter, ließ sie auf Tonband überspielen zusammen mit anderen Stücken, die ich Hindemith gleich nach dem Krieg in die USA geschickt hatte. Genzmer und ich waren entsetzt über die mangelhafte Tonqualität, die da von Hindemiths Stück übrig geblieben war. Aber als im Hindemith-Jahrbuch 1982 in einer interessanten Arbeit von Klaus Ebbeke vermutet wurde, daß auch Sala selbst das Stück vergessen habe, habe ich mich an die Rekonstruktion gewagt. Dabei kam mir ein merkwürdiger Effekt zu Hilfe: Je weiter ich mit meinen tonbandtechnischen Spezialverfahren, im eigenen Studio natürlich, vorrückte, desto lebendiger kam die Erinnerung im Kopf und in den Fingern mir zu Hilfe. Inzwischen ziert das Stück den Film einer Berliner Filmproduktion für das Institut für Film und Bild in Grünwald als Schlußstück des Films "Oskar Sala und sein Mixturtrautonium" 1985.

Frage: Haben Sie Hindemith nach dem Krieg wiedergetroffen?

Oskar Sala: Er kam spät nach Berlin. 1957 trafen wir uns erstmals wieder. Ich konnte ihm das Mixturtrautonium vorführen und wir hatten bei einem gemeinsamen Mittagessen uns gegenseitig viel zu berichten. Mir war ja schon vorher klar, daß er inzwischen zu einer Art Weltgröße aufgestiegen war, die man sich nicht mehr als Trautoniumspieler denken konnte. Er wünschte mir Glück in meiner neu beginnenden Rolle als Filmmusikkomponist: "Sie werden sicher von meinen strengen Kompositionsregeln abweichen und in Neuland vorstoßen müssen". Dann lud er mich zur Premiere seiner Oper "Die Harmonie der Welt" ein. In München haben wir uns zum letzten Mal getroffen.

Frage: Zurück zum Trautonium in den dreißiger Jahren. Was war das Besondere an Trautweins Trautonium?

Oskar Sala: Ich war bei einer denkwürdigen Szene damals dabei. Trautwein hatte einen ziemlich großen Transformator und einen enggepackten Drehkondensator mit ungewöhnlichen 10.000 PicoFarad mitgebracht, schaltete beides zusammen und in den Kippschwingkreis. Ich habe dann am Kondensator gedreht und dabei einzelne Töne gespielt. Dann haben wir plötzlich Vokale gehört.

Frage: Vokale?

Oskar Sala: Ja, als ob jemand Vokale spricht, in tiefer oder mittlerer Lage, und auf verschiedensten Tonhöhen. Und plötzlich gab es auch ein "Wau-wau" und "Miaou", wenn sich der gespielte Ton glissando ändert und der Kondensator dabei gedreht wird. Können Sie sich vorstellen, wie überrascht wir waren? Trautwein hatte sich, wie ich vermute, vorher schon einige Vorstellungen gemacht, aber das Ergebnis übertraf wohl seine Erwartungen. "Klingt ja wunderbar", war seine spontane Reaktion. Aber seine insgeheime Theorie bestätigte sich: "Wir haben die natürliche Vokalerzeugung elektronisch imitiert. Unsere Stimmritze im Kehlkopf liefert uns die höchst variable Kippschwingung, und die Mundhöhle entspricht dem elektrischen Resonanzkreis aus Spule und Kondensator. Nach der Formanttheorie von Carl Stumpf habe ich für die erforderlichen Resonanzfrequenzen die Werte für Selbstinduktion und Kapazität ausgerechnet, und danach ist der Transformator ein bißchen groß geworden, weil ja auch noch eine möglichst geringe Dämpfung, also ein kleiner Ohmscher Wicklungswiderstand, das heißt aber dickerer Draht, für die Wicklung gebraucht wird. Den Kondensator habe ich anfertigen lassen. Er muß leider so groß sein und dreht sich ein bißchen schwer, aber der Frequenzumfang zwischen den Formanten für u und i ist doch bewundernswert groß."

Die Vokallaute waren für uns natürlich nur ein Nebenprodukt. Aber nun hatten wir Klangfarben. Denn jede Stellung des Kondensators lieferte eine andere, von u-ähnlich bis i-ähnlich und darüber hinaus noch andere, die außerhalb des Sprachbereichs liegen. Die Obertontheorie fiel danach bei uns etwas in Ungnade. Ihre Rezepte waren für die praktische Konstruktion glattweg unbrauchbar. Um so mehr war ich erstaunt, daß der Geheimrat Carl Stumpf bei seinem Besuch in unserem Labor bei der Vorführung der elektrischen Vokal- und Tierlaute sichtlich erschrocken reagierte: "Da stimmt doch etwas nicht! Sie können doch in so einem kleinen Instrumentenkästchen gar nicht so viele Obertöne unterbringen". Er dachte dabei wohl an seine umfangreichen Versuche mit obertongestimmten Gabeln, deren tiefer Grundton sicher schon nicht in unseren Klangregisterkasten gepaßt hätte.