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Klänge

Frage: Imitiert das Trautonium damit traditionelle Musikinstrumente, wenn es Klangfarben beliebig herstellen kann?

Oskar Sala: Jetzt muß ich erschrocken reagieren - um Himmelswillen, nein!

Frage: Aber war das nicht auch ein Zug der Zeit, daß man gedacht hat, mit Elektrizität, mit Strom kann man alles machen?

Oskar Sala: Das kann schon sein. Aber vergessen Sie nicht, meine Zuhörer hören bei Musik mit dem Trautonium immer Wechselvolles, seien es Klangfarben, Tonbereiche, Solostimmen oder Mixturakkorde. Kann so ein Instrument nur dazu da sein, um eine bestimmte Instrumentalklangfarbe zu imitieren? Hören wir zum Beispiel mal herein in den letzten Satz von Genzmers Konzert für Mixturtrautonium. Orchester und Soloinstrument spielen alternierend die gleichen Mixturakkorde. Spätestens beim zweiten Hören weiß jeder Musikfreund: Das ist das Trautonium, jetzt spielt das Orchester. Ich zweifle nicht, daß der erfahrene Musikhörer das schon beim ersten Mal sofort auseinanderhält. Vielleicht kann er manchmal nicht gleich sagen, warum und woran er es erkennt. Aber seit etwa vierzig Jahren hat er es schwer, solche Studien zu machen, denn seitdem gibt es mit meinem Instrument nur noch rein elektronische Kompositionen. Sämtliche Filmkompositionen in den paar hundert Tonbändern meines Archivs sind rein elektronische Kompositionen.

Frage: Aber Sie haben doch selber auf dem Trautonium Kompositionen von Paganini gespielt.

Oskar Sala: Ja, was sollte ich damals machen? Sobald ich eine Originalkomposition bekam, wurde sie in meine Programme aufgenommen, ausgenommen die von Paul Hindemith, leider. Was ich sonst noch in den vielen Sendungen "Musik auf dem Trautonium" im Deutschlandsender spielte, zum Beispiel Tartini "Teufelstriller", Wieniawski, Sarasate, Busoni, virtuose Klarinettenmusik von Weber, Spohr ..., aber auch Originale, zum Beispiel von Georg Häntzschel, Fried Walter, Josef Ingenbrand; von Wolfgang Friebe ein virtuoses Capriccio mit der Begleitung des großen Unterhaltungsorchesters Otto Dobrindt, das übrigens exemplarisch nochmal dartut, wie eigenartig sich das Trautonium als Soloinstrument auch von einem virtuosen Orchester dieser Art absetzt. Last not least natürlich die vielen Kompositionen von Harald Genzmer.

Frage: Sie sagen, man soll nicht Bach oder Mozart auf elektronischen Musikinstrumenten spielen. Aber Sie haben doch selber mit dem Trautonium Konzerte gegeben, was haben Sie da gespielt?

Oskar Sala: Ja, sehen wir doch mal. Nach der Aufführung des 1. Genzmer- Konzerts in der Philharmonie im Oktober 1940 gab ich im November noch einen eigenen Abend. Hören Sie ein paar Auszüge des Echos:

Im "Völkischen Beobachter" war zu lesen: "Ein Konzert im Schumannsaal, das Oskar Sala und Harald Genzmer, den ersten Trautoniumkomponisten, am Flügel sah, fesselte nicht nur in technischer Beziehung, sondern ebensosehr durch die erzielten musikalischen Ergebnisse. Mit staunenswerter Sicherheit, dabei sorgfältig auf den musikalischen Aufbau bedacht, spielte Oskar Sala Werke von Paganini, Busoni und Harald Genzmer. Von letzterem eine erstaufgeführte Phantasie-Sonate für Trautonium. Gefesselt und interessiert folgten die Zuschauer den Darbietungen." Gez. Gerhard Schultze.

Die Berliner Zeitung "B.Z. am Mittag": "... Genzmer, dessen Konzert für Trautonium und Orchester kürzlich unter Schuricht aufgeführt wurde, schrieb auch eine Phantasie-Sonate für das Instrument, die er mit Sala zusammen zu Gehör brachte: ein Werk, das auf den Besonderheiten des Trautoniums basiert, dankenswerterweise schwierige musikalische Probleme vermeidet und so den Hörer, der den ungewohnten Klangfarben nachsinnt, nicht über Gebühr belastet. Paganini-Bearbeitungen bildeten das übrige Programm, das teils mit Staunen, teils mit Begeisterung aufgenommen wurde." Gez. Annaliese Wiener.

Das muß man ja schließlich alles unter den Zeitumständen sehen; richtig weiter ging es erst nach dem Krieg. Wo und wie hätte ich damals ein Mixturtrautonium konstruieren können? Mit dem Film hatte ich schon Bekanntschaft gemacht, als Klang- und Effektlieferant in manchen großen UFA-Filmen. Der Filmanfang lag sogar noch weiter zurück. 1930 brauchte der Komponist Paul Dessau in einem der Arnold-Fanck-Filme ein Synchrongeräusch für die waghalsigen Alpen-Rettungsflüge von Ernst Udet. Mit der Kippschwingung unter der Hörgrenze, bis zum einmaligen Zündvorgang der Thyratronröhre waren die Eskapaden Udets auf dem Saitenmanual gut nach Bild synchron zu spielen. Also gleich bei der ersten Bekanntschaft mit einem der Hauptprobleme der Filmakustik konfrontiert, der Ton-Bildsynchronität! Bis zur ausschließlich elektronischen Filmsynchronmusik in meinem Studio Ende der fünfziger Jahre waren solche traditionell konzertanten Vorhaben so eine Art Notausgang in die Historie. Auch was die Programme betrifft.

Frage: Haben Sie Schwierigkeiten in der Hitler-Zeit gehabt?

Oskar Sala: Ich hatte Ihnen im Echo auf unseren Konzertabend in Berlin den "Völkischen Beobachter" und die "B.Z. am Mittag" zitiert, es hätte auch das NS-Blatt "Der Angriff" oder die "Deutsche Allgemeine Zeitung" sein können, es war mehr als Toleranz, besonders nach dem Philharmoniekonzert, wo ja in der "B.Z. am Mittag" zu lesen war, "daß es schon nach dem ersten Satz spontanen Beifall gab". Aber zuerst war es doch ungemütlich. Die Rundfunkversuchsstelle sofort aufgelöst, ein Plakat an der Hochschule wider die elektrische Musik; leider auch von meinem Pflichtklavierlehrer unterschrieben. Trautwein war sichtlich betroffen, weil auch Telefunken nicht mehr weitermachen konnte und der von mir begonnene Trautoniumkursus damit am Ende war. Meine Trautoniumschule, von Trautwein und Hindemith herausgegeben und vom Schott-Verlag gedruckt, wurde zum Flop. Als das alles Trautweins Hausnachbar, ein Preußischer Minister, erfuhr, erwirkte er eine Vorführung bei Dr. Goebbels. Der war sichtlich überrascht und wünschte uns weiter guten Erfolg.

Inzwischen hatte die Reichsrundfunkgesellschaft den Wünschen zweier Prominenter, Otto Dobrindt, Chef des großen Unterhaltungsorchesters des Deutschlandsenders, und Herbert Jäger mit seiner täglichen Sendung "Allerlei von 2 bis 3", wo ich auch schon gastiert hatte, nachgegeben und bestellte bei Telefunken ein Trautonium mit allen Schikanen! Das waren meine vielen Zusätze, die zweite Stimme mit dem zweiten Manual und der Zusatz mit der subharmonischen Schaltung, alles an das "Hausinstrument" angepappt. Wir waren inzwischen ins Untergeschoß der Hochschule verlegt worden. Trautwein wurde zum Professor für Akustik ernannt. Sein Vorschlag: "Sie müssen den Telefunkenauftrag jetzt übernehmen. Trauen Sie sich zu, Ihre Schikanen zu einem richtigen geschlossenen Instrument zu gestalten? Wenn ich es versuche und es Ihnen nicht paßt, brauchten wir gar nicht erst anzufangen". Ich stimmte natürlich erfreut zu. Außerdem war mir klar, daß der Doktor gar kein Verlangen danach hatte, meine "Basteleien" zu studieren und sie nachzukonstruieren.

Frage: Und das neugebaute Trautonium stand dann im Rundfunk?

Oskar Sala: Ja, im Berliner Funkhaus in der Masurenallee. Herbert Jäger wollte natürlich auch selbst spielen, aber er merkte bald, daß das so nebenbei doch viel zu schwierig war. So schlug man mir 15-Minuten-Sendungen vor, "Musik auf dem Trautonium". Eine der härtesten aber auch absonderlichsten Zeiten begann für mich. Zunächst war das Saalverteilungsbüro gefragt. Freie Zeiten zum Üben gab es schon, aber nicht immer im gleichen Saal und meistens nachts. Das Instrument stand auf vier Beinen, also konnte es hin- und hergerollt werden. Standort im Saal? Je nachdem, was am anderen Tag los war. Technische Panne? Mein Lötkolben und Ersatzteile waren immer vorhanden. Neue Ideen? Natürlich, zum Beispiel die seitlichen Pedalwechsel; Sie erinnern sich: hoch, mittel und tief. Und dann schließlich die Hauptsache, das Programm. Tonband gab es nicht, also alles live. Begleitung meist am Flügel. Schließlich im weiteren Fortgang noch meine Idee: Es muß immer virtuoser werden. Der Meinung war auch Harald Genzmer mit seinen Kompositionen. Am frühen Morgen wurde ich freundlich verabschiedet von der SS-Wache. Das musikalische "Glasperlenspiel" war wieder einmal vorbei. Die Sendung natürlich noch nicht.

Frage: Konnten Sie mit dem Trautonium reisen?

Oskar Sala: Mit Genzmers erstem Konzertversuch waren wir, vom Funkhaus genehmigt, auf der Bühne in Cottbus. Wir hatten Blut geleckt. Ich lud daraufhin den Chef der Reichsmusikkammer, Generalmusikdirektor Peter Raabe, und seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Morgenroth zu einer Besichtigung des Funkinstruments ein. Die Herren fanden das neue Instrument allen früheren Konstruktionen weit überlegen, und als ich ihnen unsere Konzertpläne vortrug, die unbedingt ein für Transporte besser geeignetes Instrument verlangten, ein spezielles "Konzerttrautonium", sagten sie mir eine finanzielle Unterstützung zu.
Ich konstruierte das Instrument in den neuen Laborräumen von Trautwein einschließlich der Transportkisten, so leicht, aber so stabil wie möglich. Diese haben mein Konzerttrautonium bei der Rückreise im Winter 1943 von einer der letzten Aufführungen des Genzmerkonzertes gerettet, als - beim Umsteigen - eine Güterzuglokomotive die Kisten vom hohen Gepäckschlitten schleuderte und den Schlitten zermalmte. Dieser war beim Überqueren des Hauptgleises plötzlich angefroren, als auch schon der Güterzug andampfte. Immerhin hielt er dadurch den Zug an, und wir konnten die beiden Kisten, die zwischen die Gleise gefallen waren, herausholen.

Allerdings war mein "Artistengepäck", wie es damals beim Bahntransport so schön hieß, seit Anfang der vierziger Jahre um drei Kisten schwerer geworden. Telefunken hatte mir drei Großlautsprecher, eine Sonderanfertigung, nach Versuchen mit mir auf der Berliner Waldbühne, freundlichst überlassen, als es 1942 darum ging, bei der Schallplattenaufnahme der "Japanischen Festmusik" von Richard Strauss die nicht vorhandenen großen Japanischen Gongs zu ersetzen. Richard Strauss dirigierte selbst die Berliner Philharmoniker. Dann sollte sie im öffentlichen Konzert wiederholt werden, das Karl Böhm dirigierte.
Ich lese Ihnen mal vor, was der Pressechef der Philharmoniker als Vorinformation am 3. Januar 1942 in der "Deutschen Allgemeinen Zeitung Berlin" schrieb: "... Als Richard Strauss seine Japanische Festmusik unlängst in Berlin zur Schallplattenaufnahme dirigierte, wurde die Sorge um die Gongs - dem Trautonium überlassen. Dieses elektroakustische Wunderkind kann bekanntlich alles: es flötet, geigt, trommelt, posaunt und - nun gongt es also auch! Strauss war mit diesem Gong-Ersatz so zufrieden, daß dieses Instrumentlein mit den vielen unerklärlichen Knöpfen nun auch in der Aufführung des Philharmonischen Orchesters an die Stelle einer Batterie von Riesengongs treten wird ...".
Das war der erste Einsatz der von mir bei Telefunken erbetenen Unterstützung durch die drei Superdinger, zentnerschwer wegen der riesigen Elektromagneten, einer mit 150 Watt, zwei mit je 75 Watt. Damals war noch mein Konzerttrautonium dran. Nach dem Krieg zeigte sich erst ganz, was dieses Sponsorgeschenk wert war, zuerst in Honeggers "Jeanne d’arc au bûcher" in der Städtischen Oper Berlin.

Frage: Welchen Part haben Sie darin übernommen?

Oskar Sala: Nun, den vom Komponisten vorgesehenen Part der "Ondes". In Frankreich gab es nur die Ondes Martenot, aber in meiner Originalstimme, die ich 1942 aus Rom von der Konzertdirektion erhalten habe, steht eben nur "Ondes".

Frage: Wieso denn aus Rom?

Oskar Sala: Ja, dort habe ich zum ersten Mal bei der "Jeanne" mitgespielt. Premiere war am 20. Dezember 1942 im Teatro Adriano, Dirigent war Bernardino Molinari. Es war ja Krieg, und so konnte es keine Ondes Martenot geben. Es war die italienische Erstaufführung.

Frage: Mitten im Krieg, mit Ihrem Instrumententransport!

Oskar Sala: Erlassen Sie es mir, auf dieses Reiseabenteuer näher einzugehen. Schließlich fand ich mich wieder im Vierte-Klasse-Wagen mit defekten Fenstern, eingepfercht zum Glück zwischen zwei dicken Mammis, von Bologna bis Rom, aber meine Kisten waren im Gepäckwagen des Zuges! Am Morgen sehnlichst erwartet von der Konzertdirektion. Die Aufführung, wie zu vermuten, ein großes Publikumsspektakel. Aber die Höhepunkte für mich: am Weihnachtsabend auf das Kapitol geklettert, bei Vollmond und dem verdunkelten Rom. Und die Sixtina menschenleer, abends sogar erleuchtet. Bei der Premiere 1947 in Berlin kamen dann die Ondes Trautonium zu Wort. Generalmusikdirektor Robert Heger hatte wohl schon etwas läuten hören: "Ich freue mich auf Ihren Höllenhund. Jetzt wird er doch endlich mal so kommen, wie es in der Partitur steht, fortissimo!" Der Effekt ist ein großes Glissando über zwei Oktaven, das sich dann zusammen mit dem Orchester im pianissimo verliert.

Frage: Haben Sie denn Honegger Ihre Version des Höllenhunds einmal vorgeführt?

Oskar Sala: Nein, das hat nicht mehr geklappt. Er war zu krank und ist, so viel ich weiß, leider auch bald gestorben. Schade, ja, denn im Stück gibt es noch viele Effekte, die Aggressivität brauchen. Die "Jeanne" ist ja damals viel mit Trautonium aufgeführt worden, 1960 zuletzt in München, im Residenztheater. Aber abgesehen davon, daß mein Instrument irgendwelchen Schaden hätte nehmen können, der dann das Studio lahmlegt, fühlte ich mich jetzt selbst schon ziemlich gestört bei meinen neuen elektronischen Kompositionsideen für die Filme, die im Studio schon auf mich warteten, zum Beispiel der Film "Stahl, Thema mit Variationen" des Regisseurs Hugo Niebeling.